Anlagestrategien für Anfänger und die Bedeutung der Verlustbegrenzung
Anlagestrategien für Anfänger bereitzustellen ist für uns – FORAIM- häufig die logische Folge, die sich aus unseren Beratungen zum Aufbau einer Altersvorsorge oder der konkreten Ruhestandsplanung ergibt. Unsere Erkenntnisse aus vielen Gesprächen mit unseren Kund*innen decken sich recht einfach mit dem, was einer der führenden Robo-Advisor [1] schon früh bei der Festlegung seiner Anlagestrategie berücksichtigt hat: „Während Anleger typischerweise nicht daran interessiert sind, Gewinne nach oben zu begrenzen, ist die Verlustbereitschaft klar beschränkt. Aus diesem Grund behandelt Scalable Capital die individuelle Verlustbereitschaft des Anlegers als eine Restriktion, die es bei der Vermögensallokation einzuhalten gilt“ [2].
Nun lässt sich fragen, ob Robo-Advisor wie Scalable Capital sich typischerweise überhaupt an Anfänger im Bereich der Geldanlagen wenden. Aus Sicht der Nutzer, die beschreiben, was für die Nutzung von Robo-Advisor spricht, scheinen sich Robo-Advisor tatsächlich an Anfänger im Anlagebereich zu wenden [3]. Übrigens: Wir verwenden nur wegen des Lesefluß die männliche Form für Anleger, tatsächlich gemeint ist immer Anleger*innen.
Auch wenn man sich die wesentlichen Motive und das tatsächliche Verhalten von Sparern und Sparerinnen anschaut, scheint das Thema Verlustbegrenzung bei den Anlageentscheidungen im Vordergrund zu stehen. Für 2024 wird Tagesgeld mit 37% als beliebtestes Anlageprodukt genannt, auch Festgeld ist mit 27% der Nennungen sehr beliebt. Selbst wenn 28% der Befragten Aktien als beliebteste Anlageklasse nennen, zeigt der Wunsch nach Sicherheit von 70% der Befragten doch stark, dass eine Verlustbegrenzungsstrategie von Bedeutung ist [4].
Ein weiteres, mit 60% genanntes Anlageziel, der Wunsch nach Rendite, zeigt, dass es überwiegend Anfänger bei Geldanlagen gibt. Denn eine hohe Rendite und eine hohe Sicherheit schließen sich bekanntlich aus. Dies zeigt schon das „Magische Dreieck der Geldanlagen“ verständlich auf.
Wenn man akzeptiert – und das muss man akzeptieren – dass maximale Rendite und maximale Sicherheit sich ausschließen, hatte Scalable mit seinen in der Vergangenheit angebotenen Value at Risk Strategien ( im Folgenden auch kurz VaR-Strategie) eigentlich einen optimalen Weg in der Anlagestrategie für Anfänger gefunden. Mit der Value at Risk Strategie lässt sich (statistisch) genau ermitteln, wie hoch das prozentuale Verlustrisiko einer Anlagestrategie bzw. genauer eines Anlageportfolios ist. Zum Beispiel sagt ein Value at Risk Wert von 4% aus, dass das Portfolio in einem bestimmten Anlagezeitraum (für Privatanleger*innen sinnvollerweise 1 Jahr) nicht mehr als 4% verlieren kann. Also bei einem Anlagebetrag von 10.000 € können nicht mehr als 400 € Verlust entstehen. Scalable hatte entsprechende Depots mit sehr unterschiedlichen Verlustgrenzen den Kunden zur Auswahl gestellt [5]. Dabei sollten bei den vorgegebenen Verlustgrenzen natürlich möglichst hohe Gewinne erzielt werden. Die mögliche Höhe der Gewinne wird dabei zunächst nicht genau definiert.
Warum beendet Scalable Capital die Verlustbegrenzungsstrategie?
Zu den Gründen für die Einstellung der – eigentlich doch so sinnvollen – Value at Risk Strategie berichtet das renommierte Online-Magazin Finance Forward [6]. Danach spiegelt die Entscheidung zur Einstellung der Value at Risk Strategien die Herausforderungen während der COVID-19-Krise und die sich wandelnde Marktlage wider. Die Value at Risk Strategie, die darauf abzielte, Schwankungen zu managen und größere Verluste zu mindern, erwies sich bei schnellen Marktbewegungen als weniger effektiv. Zumindest für die Scalable Depots galt dies.
Die Erklärung einer Sprecherin lautet: „Die aktive VaR-Strategie war erklärungsbedürftig – Roadshows und ein Sales-Team waren unerlässlich bei der Umsetzung …. Wir gehen von aktiven, erklärungsbedürftigen Strategien, die in bestimmten Marktphasen ihre Stärken und in anderen, wie zu Corona, ihre Schwächen haben, weg, hin zu einfach nachvollziehbaren Strategien – unabhängig von der Performancefrage“ [7].
Hier macht es sich Scalable doch etwas sehr einfach und lässt unserer Meinung nach die eigentlichen Motive, die für Anlagestrategien von Anfängern wichtig sind, außer Betracht:
- So sonderlich erklärungsbedürftig ist eine Value at Risk Strategie nicht. Vereinfacht gesagt bedeutet eine VaR 3, dass (statistisch) nicht mehr als 3% Verluste entstehen. Dies können auch Anfänger bei Geldanlagen verstehen. Allerdings müssen die Grenzen der Statistik aufgezeigt werden. Dazu gehört zu sagen, in wieviel % aller Fälle dieses Verlustrisiko nicht überstiegen wird, und für welchen Zeitraum diese Verlustbegrenzung gilt.
- Den Kunden jetzt einfach ein Angebot zu unterbreiten, das nur den Markt abbildet, diesen aber weder mit höherer Rendite noch weniger Risiko übertrifft, trifft sicher nicht die Erwartungen vieler Anleger. Genau aber ein derartiges Angebot unterbreitet Scalable seinen Anlegerinnen. Dazu heißt es weiter in Finance Forward: „Dazu zählen beispielsweise Strategien wie „Weltportfolio“ oder „ESG“. Dabei sucht Scalable Capital noch immer die verschiedenen ETFs aus und managt sie, doch die Zusammensetzung soll den Markt eher abbilden als ihn schlagen. Und es wird nicht ständig umgeschichtet…“ [8].
- Dabei war ursprünglich mit Einführung der Value-at-Risk-Strategie das Umschichten bzw. die Depotanpassung ein wesentliches Merkmal, welches Scalable von anderen Anbietern abgrenzen sollte. So steht es jedenfalls im Whitepaper, welches die Einführung der Value-at-Risk-Strategie erläutert: „Ein weiterer Unterschied zu herkömmlichen Anlagestrategien, die Portfolioumschichtungen üblicherweise in festen Zeitintervallen (z.B. jährlich oder halbjährlich) vornehmen, ist, dass Scalable Capital ereignisbedingt agiert und Umschichtungen im Wesentlichen durch Marktänderungen – und hier insbesondere durch Änderungen der projizierten Verlustrisiken – ausgelöst werden.“ [9].
All die vorgenannten Erläuterungen und Gründe könnten darauf hinweisen, dass Scalable deutlich stärker auf eigene Erträge als auf den Nutzen für Anfänger im Bereich der Geldanlagen fokussiert ist. Dies zeigt auch die Geschäftsentwicklung und Konzentration auf das Geschäftsmodell Neobroker statt Robo-Advisor: „Scalable stellte sich 2020 zudem als Neobroker auf. Mittlerweile entspringt der überwiegende Teil des betreuten Vermögens von rund 20 Milliarden Euro diesem Geschäftszweig.“ [10].
Bedeutet die Einstellung des VaR-Angebots von Scalable das Ende verständlicher und einfacher Anlagestrategien für Anfänger?
Um diese Frage zu beantworten, muss überlegt werden, unter welchen Umständen eine Anlagestrategie, die sich an der Begrenzung von Verlustrisiken orientiert, trotz Corona und gravierender Marktänderungen besser funktioniert hätte. Dazu vertreten wir die Meinung, dass auch eine Value at Risk Strategie hätte besser funktionieren können, wenn …:
- … diese dynamischer gestaltet gewesen wäre (schnellerer Wiedereinstieg nach Verlustphasen). Erfolgreiche Value at Risk (VaR) Strategien müssen ziemlich dynamisch sein, um effektiv zu sein. Da VaR versucht, potenzielle Verluste in einem Portfolio zu quantifizieren, sollte die Strategie anpassungsfähig genug sein, um auf Marktveränderungen und neue Informationen reagieren zu können. Dies erfordert regelmäßige Updates und Überprüfungen der Risikoparameter sowie eine ständige Anpassung der Portfolios, um auf sich ändernde Marktbedingungen zu reagieren. Dynamische Strategien können daher besser sicherstellen, dass die VaR-Berechnungen akkurat bleiben und das Risikomanagement effektiv bleibt.
- … die Value at Risk-Strategie mehr Anlagemöglichkeiten als die typischen Anlageklassen wie Aktien und festverzinsliche Papiere berücksichtigt. Grundsätzlich können Value at Risk (VaR) Strategien neben Aktien, Anleihen und Rohstoffen auch weitere Assetklassen wie Immobilien, Währungen (Forex), Derivate (wie Optionen und Futures) und sogar alternative Investments wie Kunst und Private Equity berücksichtigen. Die Einbeziehung dieser vielfältigen Assetklassen ermöglicht eine umfassendere Risikoanalyse und Diversifikation des Portfolios, was zu einer genaueren und robusten VaR-Berechnung beiträgt.
- … nicht nur statistische Vergangenheitswerte zugrunde gelegt werden, sondern auch Kausalitäten betrachtet werden (Eine recht einfache Kausalität liegt darin, dass Kurse von festverzinslichen Wertpapieren sinken, wenn Zinsen steigen. In 2022 war dies auch in der Realität zu beobachten).
- … anerkannt und berücksichtigt wird, dass viele statistische Modelle Extremrisiken nicht berücksichtigen. Bekannt geworden ist dieser Effekt durch die Metapher mit dem Schwarzen Schwan von Nicolas Taleb [11].
Alternative Anlagestrategien für Anfänger: Maximum Drawdown und Value at Risk
Scalable selbst hatte in seinem Whitepaper von 2018 neben dem Value at Risk Ansatz auch andere Risikomessgrößen wie z.B. den Maximum Drawdown betrachtet. Der Maximum Drawdown gibt den prozentualen Unterschied zwischen dem Höchstkurs und dem Tiefstkurs eines Vermögenswertes innerhalb eines bestimmten Zeitraums an, also den in dem betrachteten Zeitraum maximal erzielten Verlust.
Ein Vergleich der Messgrößen Value at Risk und Maximum Drawdown im Whitepaper von Scalable zeigt, dass beide Größen einfache Nachvollziehbarkeit bieten und für hochriskante Anlagen geeignet sind. Allerdings ist der Maximale Drawdown nicht geeignet für Backtesting und Modellvalidierung.
Etwas anders sieht es der unabhängige amerikanische Investmentadvisor für institutionelle Anleger IASG. In dem Beitrag „Drawdowns – Worth a Closer Look as a Risk Measure“ schreibt er, dass der Maximale Drawdown immer noch das Risikomaß ist, auf das die meisten Anleger ihr Augenmerk richten und begründet dies ausführlich [12].
Generell sollten allerdings bei einem Vergleich der beiden Risikomaße Value at Risk und Maximum Drawdown die generellen Nachteile der Value at Risk-Strategie immer im Blick behalten werden:
- Seltene Ereignisse: VaR kann zu einer Unterschätzung des Risikos führen, da es nur die Verluste innerhalb des vorgegebenen Konfidenzniveaus betrachtet und extrem seltene, aber möglicherweise verheerende Risiken außer Acht lässt.
- Datenabhängigkeit: VaR ist stark abhängig von der Qualität und der Historie der verwendeten Daten, was bei neuen oder illiquiden Märkten zu ungenauen Schätzungen führen kann.
Unsere risikobewussten Anlagestrategien für Anfänger
Halten wir fest: Die Value at Risk Strategie könnte mehr Erfolg haben, wenn sie umfassender verstanden und gehandhabt wird, als dies bei Scalable vielleicht der Fall war. Dazu haben wir ausführlich im Absatz „Bedeutet die Einstellung des VaR-Angebots von Scalable das Ende verständlicher und einfacher Anlagestrategien für Anfänger“ geschrieben.
Generell könnte hinsichtlich der Entscheidung für eine der beiden Anlagestrategien Value at Risk oder Maximaler Drawdown eine einfache Empfehlung lauten:
- VaR: Wenn Anleger eine quantitative Schätzung des Verlustrisikos wünschen und statistische Modelle bevorzugen.
- Maximaler Drawdown: Wenn Anleger sich auf tatsächliche historische Verluste konzentrieren und die realen Auswirkungen auf ihr Portfolio verstehen möchten.
.Aber muss überhaupt zwischen den beiden Risikomaßgrößen ausgewählt werden?
Warum liegt der richtige Weg nicht darin, beide Größen bei der Zusammenstellung eines Portfolios zu berücksichtigen?
Haben wir dann – wenn beide Größen bei der Zusammenstellung des Depots berücksichtigt werden – noch eine einfache und verständliche Anlagestrategie für Anfänger?
Wir meinen: Ja!
Allerdings muss klar kommuniziert werden, welche maximalen Drawdowns den jeweiligen Anlagestrategien für Anfänger zugrunde liegen. Wir sind bestrebt, all unseren Kunden und nicht nur Anfänger ein solch ausgewogenes Verhältnis zwischen Risiko und Rendite im Bereich der Geldanlagen zu bieten. Insgesamt können unsere Konzepte als eine risikobewusste Anlagestrategie bezeichnet werden, die sowohl die Renditeziele als auch die Verlustbegrenzung im Auge behält. Diese Strategien kombinieren Elemente des Maximum Drawdown und der Value at Risk Analyse, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Risiko und Rendite zu erreichen.
Garantien können wir natürlich nicht bieten. Unsere Depotergebnisse der letzten Jahre spiegeln aber wider, dass risikojustierte Anlagen auch in den Phasen erfolgreich sein können, in denen Scalable keine Erfolgschancen für dessen ursprüngliches Value at Risk Konzept mehr sah.
Profitieren Sie von diesen Überlegungen!
Wenn Sie ein persönliches Gespräch mit uns führen möchten, finden Sie hier alle Möglichkeiten Kontakt mit uns aufzunehmen:
Vielleicht möchten Sie zunächst grundlegendere Informationen erhalten? Kein Problem informieren Sie sich hier zu den verschiedenen kostenfreien Webinaren, die wir regelmäßig anbieten:
Quellen / Links:
(1) Börsenlexikon, Robo-Advisor, Focus Online
(2) Der Investmentprozess von Scalable Capital, Whitepaper, Scalable Capital, August 2018, Seite 11,
(3) Robo-Advisor-Studie 2022: Markt, Meinungen und Mythen
(4) Geldanlage 2023/2024, Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Bundesverbandes deutscher Banken, bankenverband, Dez. 2023
(5) Ergebnisse von Depotlösungen bei Scalable bei unterschiedlichen Verlustgrenzen
(6) Scalable Capital stoppt ursprüngliche Robo-Anlagestrategie, Finance Forward, 24.6.2024
(7) Ebenso im Artikel FinanceForward
(8) Ebenso im Artikel FinanceForward
(9) Der Investmentprozess von Scalable Capital, Whitepaper, Scalable Capital, August 2018, Seite 6 (Link zum Download weiter oben)
(10) Scalable stoppt bisherige Robo-Strategie, Fonds professionell online, 24.6.24
(11) Zu Taleb und zum Schwarzen Schwan lesen Sie in der Finanzenlounge: Dass muss Ihnen mit Ihren Geldanlagen nicht passieren: Daimler-Chef entschuldigt seine Versäumnisse mit dem Schwarzen Schwan
(12) Drawdowns – Worth a Closer Look as a Risk Measure , IASG , 27.3.2017